Normalerweise möchte ich mich nicht politisch äußern – zumindest nicht hier. Ich respektiere und achte unser demokratisches System und akzepiere jedermanns Gesinnung in dessen Rahmen. Wer wen oder was und warum wählt, ist mir egal und es ist definitiv Privatsache. Doch was bitte war das denn Gestern?

Mir ist vollkommen klar, dass in einer Zeit, in der es so viele Unsicherheiten und offene Fragen gibt auch viel Angst herrscht. Doch wir alle wissen, Angst gepaart mit Dummheit war schon immer eine explosive Mischung. Geahnt hatte man es ja im Vorfeld schon, doch dass das Unmögliche mit einer solchen Wucht zuschlagen würde, hatte ich nicht erwartet.

An Tag eins nach dem Desaster habe ich dann einen Kaffeebecher auf INSTAGRAM gepostet. Kaffee brauchte ich nämlich an diesem Morgen viel, zu groß war das Entsetzten und der fade Nachgeschmack des gestrigen Tages im Mund. Selbst mein Kaffee schien sich in seinem milchigen braun über mich lustig zu machen. Den Zweiten trank ich dann als Espresso,…ohne Milch!

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Zu meinem Erstaunen und auch zu meiner Freude stellte ich enleichtert fest, dass dieser Schock auch in den sozialen Netzwerken für Empörung sorgte. Nicht nur mein unmittelbares Umfeld, die Medien und die Politiker sind verunsichert und sorgen sich, sondern auch Ihr. Mutig, offen und ohne ein Blatt vor dem Mund. Und das ist auch gut so.

Man sollte sich wirklich fragen, warum es zu so einem Wahlergebnis kam. Warum es nicht verhindert wurde. Protestwahl scheint mir da eine schwache Ausrede zu sein. Aus Enttäuschung wählt man nicht von extrem Links nach extrem Rechts.

Als Denkzettel kann man ein zweistelliges Ergebnis wohl auch nicht deklarieren, zumal dieser Denkzettel riesengroß, kräftig, mit fetter Schrift, laut und häßlich im ungünstigsten Fall für vier Jahre hängen bleibt.

Und ob die überzeugten Wählerinnen und Wähler tatsächlich die Frauen wieder an den Herd schicken möchten, während die Männer die Geschicke des Landes in ihren verantwortungsvollen Händen halten, bleibt doch mehr als fragwürdig.

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Wohin Frust, Desillusion und Unzufriedenheit führen können, sollten gerade wir Deutschen wissen. Doch scheinbar ist  das alles viel zu lange her. Zeitzeugen gibt fast keine mehr und die Vergangenheit wird der Jugend nur allzuoft als Parodie oder Persiflage serviert. Das Grauen jener Zeiten ist für viele kaum noch spürbar, die Bilder von früher verblasst und mit unzähligen Dokumentationen langweilig geworden. Wie soll ein junger Mensch nachvollziehen, was die Uroma irgendwann mal erzählt hat. Von Flucht, von Krieg, von gefallenen Soldaten, Angst und Armut. Woher sollen sie wissen, wieviele Männer einarmig, einbeinig, seelisch geschunden, krank das Bild der Gesellschaft in den 70iger Jahren geprägt haben? „Er ist wieder hier“ wird von diesen Menschen mißverstanden. Das Grauen das mir dabei über den Rücken kriecht, wird von der jüngeren Generation weggelacht. Und kann man es ihnen verdenken?

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Sie sind in besseren Zeiten großgeworden. Viele hatten das Glück von den Früchten des Wirtschaftswunders zu zehren. Wie wir heute leben, frei und selbstbestimmt, ist den Mühen, dem Einsatz und dem Willen der Nachkriegsgeneration zu verdanken. Doch vielen ist das nicht bewußt. Viele wollen nicht sehen, dass sie trotz aller Schwierigkeiten in einem sozialen Gefüge leben, in dem sie aufgefangen werden. Das ist natürlich nicht immer komfortabel, aber in den meisten Fällen ist ein annehmbares Leben möglich. Ich rede nicht von Ärmsten, von den Menschen am Rande unserer Gesellschaft, denen es wirklich schlecht geht. Das maße ich mir nicht an. Doch genau diesen Menschen tritt man ordentlich vor das Schienbein, wenn man extrem wählt.

Glauben diese Wähler wirklich, dass eine Partei, die sich des Freiheitsrufes jener Tage im Oktober bedient, und die das genaue Gegenteil von Freiheit und Selbstbestimmung anstrebt, die heutigen Missverhältnisse herumreißen kann? Mich erstaunt wirklich, wie naiv und dumm manche Menschen sind. Wieviele einfach nur hinterherlaufen – mitlaufen. Das macht mir Sorgen und Angst. Denn auch das hatten wir bereits.

Dennoch ist es erstaunlich, dass unsere Bundesregierung scheinbar nahtlos zur Tagesordnung übergeht. Auch soetwas gab es schon in der Vergangenheit. Das ist gefährlich. Dagegen lohnt es sich aufzubegehren und nach Lösungen zu fordern. Hier ist Protest angesagt. Ein Sitzstreik vor den Regierungsgebäuden mit riesigen Transparenten auf denen geschrieben steht: „WOHIN SOLL DAS FÜHREN?“ und „HABT IHR NICHTS GEMERKT?“,  „HABT IHR WEGGESCHAUT?“ wäre toll.

Doch haben die da drinnen tatsächlich nichts gemerkt? Haben sie diesen Ruck nicht ernstgenommen? Sehen sie nicht, dass ihnen Wähler verloren gingen an einen Verein, der eindeutig nichts demokratisches im Gepäck hat? Sitzt man tatsächlich auf seinem hohen Roß und reitet weiter stur in seine parteiliche Richtung?

Gestern Abend auf der „FOCUS NIGHT“ in Berlin merkte man den anwesenden Politikern zumindest noch an, dass man sich Sorgen machte. Das läßt mich ein wenig hoffen. Doch diese Suppe muß nun ersteinmal gelöffelt werden, schlimmstenfalls vier lange Jahre lang.

Wir sollten den gestrigen Tag als Warnung verstehen. Wir sollten NEIN sagen. Wir sollten wachsam sein. Wir sollten es alle besser machen.

Können wir das? Das können wir! Wir müssen es nur wollen!